Wie der Wein ist das Steak in Frankreich ein Grundelement
Die französische Esskultur ist tief in Traditionen verwurzelt – sie ist eine Kultur, in der Veränderungen nur langsam vonstattengehen und geliebte Rituale, Zutaten und Geschmacksrichtungen über Generationen hinweg bewahrt werden.
Im Jahr 2024 kam Frankreich buchstäblich zum Stillstand, als Bauern aus Protest gegen geplante EU-Reformen auf die Straßen gingen. Traktoren blockierten Autobahnen in einer „Opération Escargot“, an Kreisverkehren brannten Mist- und Reifenhaufen, Straßenschilder wurden umgedreht, begleitet vom Motto: „Nous marchons sur la tête“ – „Wir stehen auf dem Kopf“ – ein Zeichen für eine Welt, die durch Bürokratie, politische Maßnahmen und Vorschriften aus den Fugen geraten ist.
Trotz des Chaos unterstützten viele Franzosen die Sorgen der Bauern um die Ernährungssicherheit – insbesondere angesichts der Tatsache, dass importierte Produkte günstiger verkauft werden als französische Erzeugnisse. Präsident Macron gab den Forderungen der Bauern rasch nach, versprach höhere Subventionen und setzte Maßnahmen zur Reduktion von Pestiziden aus. Obwohl die Landwirtschaft nur 1,6 % des französischen BIP ausmacht, genießen Bauern großen sozialen und politischen Einfluss – die jährliche Landwirtschaftsmesse „Salon d’Agriculture“ in Paris ist ein gefeiertes Ereignis.
Frankreich ist ein Land mit tiefer Verbundenheit zum Boden. Das Wort terroir bedeutet nicht einfach nur „Boden“ – es steht für eine emotionale Beziehung und den Stolz auf französische Erzeugnisse, für das Verständnis der Herkunft von Zutaten und den Respekt gegenüber den Menschen, die unsere Lebensmittel anbauen. Terroir ist ein Begriff voller Romantik für die Einfachheit des Landlebens – und gleichzeitig ein beliebtes Schlagwort für Produktverpackungen, das von Pastete bis Kartoffelchips alles ziert.
Die heilige Dreifaltigkeit der französischen Küche wird oft mit gutem Käse, gutem Wein und gutem Fleisch beschrieben. Abseits der Stadtzentren ist es schwierig, vegetarische – geschweige denn vegane – Optionen auf der Tageskarte eines Restaurants zu finden.
Bis vor Kurzem war die Auswahl an pflanzlichen Produkten in den üblichen Supermärkten eher dürftig – meist beschränkt auf einige Sorten pflanzlicher Milch und stark verarbeitete Sojaburger. Diese Produkte waren eher auf Diäten als auf Lebensstile ausgerichtet, oft in einer „Santé & Végétal“-Ecke zusammen mit Mikrowellen-Diätgerichten zu finden, statt ins reguläre Sortiment integriert zu sein. Zwar boten Bioketten wie BioCoop oder La Vie Claire mehr Auswahl, jedoch zu deutlich höheren Preisen – für den Mainstream kaum zugänglich.
Es gibt einen starken Widerstand gegen pflanzliche Marken, die fleischtypische Begriffe verwenden. Im Februar 2024 versuchte die französische Regierung, ein Dekret zu erlassen, das die Verwendung von 21 fleischbezogenen Begriffen – darunter Wurst, Steak, Cordon Bleu, Schnitzel und Schinken – für pflanzliche Produkte verbieten sollte. Dies geschah auf Druck der Fleischindustrie, die argumentierte, solche Begriffe seien für Verbraucher „verwirrend“.
Doch trotz der tief verankerten kulturellen Wertschätzung für Fleisch und Milchprodukte beginnt sich die Landschaft in Frankreich zu verändern. Auch wenn pflanzliche Ernährung in Frankreich gegenüber Ländern wie Großbritannien Jahrzehnte im Rückstand ist, wuchs der Markt zwischen 2021 und 2023 in acht Kategorien (darunter Joghurt, Fertiggerichte und Fleischersatzprodukte) um 18 %. Besonders pflanzlicher Käse erlebte einen Boom und verdoppelte sein Volumen im genannten Zeitraum.
Werfen wir einen Blick auf die neuen Wege, die sich für pflanzliche Ernährung in Frankreich auftun – auf kulturelle Signale, die sie aufgreifen, und auf die besten Boutique- und Konzernmarken, die der französischen Esskultur ihren eigenen pflanzlichen Stempel aufdrücken.
HAPPY HUMOUR
Was ist das und woran erkennt man es?
Mutige, farbenfrohe pflanzliche Marken, die nicht davor zurückschrecken, visuelle oder sprachliche Bezüge zur Fleischindustrie aufzugreifen – allerdings auf subversive, verspielte, fast kindliche Weise. Man denke an Cartoons mit dicken Schweinchen, knallige Farbkombinationen und Produktnamen wie „Schinken“ oder „Speck“. Die Produkte setzen meist auf Komfort und „verbotene Genüsse“ – z. B. Speck-Sandwiches oder Chicken-Nuggets – mit vielen Anspielungen auf Gourmandise.
In einem größeren Zusammenhang spiegelt dieser Trend eine Abkehr von Reinheit und Diätkultur wider. Die klassische grüne/biologische Farbpalette wird abgelehnt – stattdessen wird gezeigt, dass gesunde Ernährung nicht im Widerspruch zu Geschmack, Genuss und Übermaß stehen muss. Auch der ernste Ton vieler französischer Verpackungen wird aufgebrochen – mit subversiven Botschaften, ironischen Bildern und umgangssprachlichem Französisch statt formellem vous.
Markenbeispiel
Die Produktreihe La Vie bietet Erbsenprotein-Bacon, Schinken, Speckwürfel und BLT-Sandwiches. Sie hat sich auch ins Merchandising gewagt, bietet einfache Wohlfühlrezepte auf ihrer Website und kooperierte mit Burger King für den Veggie Steakhouse Burger. Die französische Marke hat mittlerweile sogar den Sprung auf den britischen Markt geschafft – mit provokanten Plakatkampagnen, in denen ihr Bacon als „großer Gleichmacher“ inszeniert wird.
Auch auf der Verpackung findet sich ein verspieltes Extra: eine Bastelanleitung für ein 3D-Schweinchen aus Papier – eine kreative, humorvolle Lösung für Verpackungsmüll.
MIMIK DER TRADITION
Was ist das und woran erkennt man es?
Dieser wachsende Bereich wird von Faux-mage und Faux-gras dominiert – also von Produktgruppen, die traditionell mit Gastronomie, Handwerkskunst und kulinarischem Know-how in Frankreich verbunden sind. Bekannte Geschmacks-, Textur- und Formatmerkmale bleiben erhalten – mit dem kleinen Twist, dass die Zutaten pflanzlich sind.
In einer stark ritualisierten und strukturierten Esskultur wie der französischen ist es entscheidend, Traditionen nicht zu verletzen. Hier bleiben diese nicht nur bestehen – pflanzliche Alternativen können vertraute Genusserlebnisse sogar aufwerten, insbesondere durch handwerkliche Qualität und edle Verpackungen. Sie fügen sich nahtlos in bestehende Essrituale ein, ohne das Rad neu zu erfinden.
Markenbeispiel
Faux-gras- und Terrinenmarken wie Le Fou Gras von Le Grand Bluff oder Gaia setzen visuelle und haptische Signale ein, die stark auf Premiumqualität verweisen: kleine Glasgefäße, geringe Mengen, dunkle Farbtöne und edle Zutaten wie Trüffel oder Waldpilze.
Boutique-Marken wie Jay & Joy sowie Nurishh (eine Marke des Konzerns Bel) bieten kreative Neuinterpretationen klassischer Käse wie Camembert oder Ziegenkäse – oft sogar mit Holzverpackung, die an das Original erinnert und handwerkliche Expertise signalisiert.
Frankreich steht an einem kulinarischen Wendepunkt: Zwischen tiefer kultureller Verwurzelung in Fleisch- und Milchtraditionen und einer neuen Generation von pflanzlichen Marken, die entweder mit Humor oder Respekt für die Tradition den Wandel vorantreiben – ohne dabei den französischen Charakter zu verlieren.